Content und Distribution Musik und die elektronische
Herausforderung
Bericht der Arbeitsgruppe 1
Rapporteur:
Robert Burnett
Institut für Kultur und Kommunikation, Universität Karlstad,
Schweden
Die Philosophen zeigten immer reges Interesse an Musik.
Shakespeare nannte Musik, wenn ich mich recht erinnere, "der Liebe
Nahrung". Die Musik wird oft auch als "universelle Sprache"
bezeichnet, und Attali sah in ihr "einen Wegweiser für Veränderung".
McLuhan hat einmal die prophetische Äußerung gemacht, daß
"wir im elektronischen Zeitalter alle von Musik leben".
In diesem Bericht möchte ich Auszüge der Diskussionen
der Arbeitsgruppe über die Auswirkungen der "elektronischen
oder digitalen Revolution" im Bereich der Musik referieren und weiterentwickeln.
Eines der Ziele der Arbeitsgruppe war es, "das Territorium von Musik
und Digitalisierung abzustecken". Ein weiteres Ziel war ein präziseres
Verständnis des Kulturbegriffs, um zu zeigen, wie unterschiedlich
Kulturpolitiker, Verwaltungsbehörden und Kunstszene selbst den Begriff
verwenden. Ein wichtiges Anliegen war es, die Diskussion der Kultur- und
auch der Beschäftigungspolitik im Bereich der Musik zu forcieren.
In meiner Präsentation werden die zu behandelnden Themen in vier
Debatten bzw. Diskussionsfelder gegliedert. Diese sind: Kulturproduktion,
Copyright, Distribution und Beschäftigung. Alle vier Debatten sind
geprägt durch die Diskussion über Neue Technologien, vor allem
über das Internet und die Digitalisierung. Einleitend gebe ich einen
Überblick über die globale Musikindustrie. Der Bericht schließt
mit einer kurzen Zusammenfassung vorläufiger Schlußfolgerungen.
Die globale Musikindustrie
Die Musik, ihre Produktion, Distribution, Rezeption
und ihr Copyright, ist ein wesentliches Merkmal der europäischen
Informationsgesellschaft. Die europäische Musikindustrie ist ein
bedeutender Aktivposten. Zwei der fünf weltgrößten Musikkonzerne
befinden sich heute in Europa. Der Bertelsmann Musikkonzern (Deutschland)
und EMI (GB) halten gemeinsam mit Universal (vormals Polygram/MCA) (Kanada),
Time Warner (USA) und Sony (Japan) einen Anteil von etwa 80 % des Weltmarkts
an Musikaufnahmen, eines Marktes, der im Jahre 1997 auf 35 Milliarden
ECU geschätzt wurde. Der Musikmarkt umfaßt auch viele kleine
Firmen. Die Tatsache, daß 60 % der in der EU verkauften Aufnahmen
auch in der EU entstanden, bedeutet, daß die Nachfrage des lokalen
Publikums nach "lokalen" Produkten trotz der "Globalisierung"
der Musikindustrie bestehen bleibt. In Griechenland, Großbritannien,
Frankreich und Italien stammt die Mehrheit der Aufnahmen von Künstlern
aus dem jeweiligen Land. In den skandinavischen Ländern stammen etwa
30 Prozent aller gekauften Tonträger von lokalen Künstlern.
In Österreich und Belgien sinkt diese Zahl auf 15 Prozent. Auf internationaler
Ebene wuchs der prozentuelle Anteil europäischer Künstler am
globalen Musikmarkt von 1991 bis 1997 von 34 auf 42 Prozent an.
Es gibt fünf große multinationale Musikkonzerne,
die in Europa tätig sind und als sogenannte "transnationale
Unternehmen oder Marktführer" bezeichnet werden. Tabelle 1 zeigt
die Marktanteile (nach Anzahl der 1997 von den Unternehmen und ihren Tochtergesellschaften
verkauften Platten). Gemeinsam haben diese fünf Unternehmen einen
Anteil von nahezu 80 Prozent am Weltmarkt.
Tabelle 1: Marktanteil der Marktführer 1997
(% Umsatzvolumen) |
Unternehmen |
Prozentsatz
|
Universal |
23
|
Sony |
16
|
Warner |
15
|
BMG |
14
|
EMI |
13
|
Andere |
19
|
Gesamt |
100
|
Quelle: Unternehmensberichte, Robert Burnett: "Phonogram"
in: U. Carlsson (ed.) Media Sweden 1999, Göteborg 1999.
Die verbleibenden 19 Prozent des Marktes teilen sich
mehrere tausend unabhängige Plattenfirmen. Viele davon sind sehr
kleine Firmen, manche bringen pro Jahr nur ein oder zwei Neuerscheinungen
auf den Markt. Die unabhängigen Firmen sind aber ein sehr wichtiger
Teil der Musikindustrie, die Entwicklungen in der Populärmusik vorgeben
und auch die Möglichkeit haben, neue Talente zu entdecken und Trends
zu etablieren. Sie tragen freilich auch die Risiken, die die Entwicklung
eines neuen Repertoires mit sich bringen.
Universal, EMI, Sony, Warner und BMG sind im Besitz
nationaler Absatzsysteme, über die sie innerhalb der EU operieren
und ihre eigenen Tonträger sowie jene von dritter Seite an Kleinhändler,
Großhändler und kleinere Vertriebspartner vertreiben. Mehrere
der führenden Unternehmen besitzen und verwenden auch eigene Produktionseinrichtungen
für CDs, Kassetten und Vinylplatten.
Die Musikunternehmen versorgen den nationalen Markt
und vertreiben die Aufnahmen auch im Ausland. Normalerweise geschieht
dies, indem einer lokalen Firma die Lizenz erteilt wird, die Tonträger
in einem bestimmten Land zu vertreiben. Im Falle der Marktführer
geschieht dies meist durch die lokalen Tochterfirmen. Die unabhängigen
Firmen sind hier oft auf andere Unternehmen angewiesen, wie z. B. auf
die ausländischen Tochterfirmen der Marktführer. Die durch die
Lizenzen erzielten Einnahmen sind für diese Musikfirmen lebenswichtig.
Europa ist nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Lieferant
von Musikaufnahmen für die übrige Welt, aber der Abstand verringert
sich, da immer mehr europäische Künstler globale Marktpräsenz
gewinnen.
Der technologische Wandel hat die Musikindustrie in
vielerlei Hinsicht beeinflußt. So wurden beispielsweise die Konsumenten
durch digitale Sender und das digitale Radio in die Lage versetzt, Musik
"nach Bedarf" zu hören. Der Online-Vertrieb von Musik könnte
Produkte auf globaler Ebene verfügbar machen, aber die Zugänglichkeit
und der Aufbau neuer Märkte hängen von der Verbreitung von PCs
und Internetzugängen ab. 1997 wurde nur ein kleiner Prozentsatz der
Einkünfte der Online-Dienste, die auf 5 Milliarden US $ geschätzt
werden, durch den Verkauf von Musik erzielt. Obwohl Beobachter dieses
Industriezweigs den Marktwert der Online-Verkäufe zu Beginn des nächsten
Jahrzehnts auf etwa 5 Milliarden US $ einschätzen, hat sich das Technologiepotential
dieser Industrie für die Musikgesellschaften bereits als profitabel
erwiesen. Vor kurzem haben die fünf transnationalen Unternehmen gemeinsam
mit IBM das "Madison Projekt" gestartet, damit die globale Musikindustrie
vor dem Jahrtausendwechsel in den Onlinebetrieb einsteigen kann.
Jede Veränderung der technischen Voraussetzungen
für die Produktauslieferung wirft im Musikgeschäft neue Fragen
im Bereich Copyrightschutz und in bezug auf die Einnahmen größerer
und kleinerer Firmen wie auch der Musiker auf. Der Musikeinzelhandel wird
im allgemeinen von großen Ketten wie HMV, Virgin und Tower Records
dominiert. Werden sich diese Großen erfolgreich an die neuen Möglichkeiten
des Online-Verkaufs anpassen oder werden die durch den Fortschritt der
Informations- und Kommunikationstechnologien geschaffenen Möglichkeiten
dem kleineren europäischen Produzentenmarkt einen neuen Impuls verleihen?
Werden sie von neuen Unternehmen übernommen, die von den niedrigen
Einstiegskosten des Handels im Internet profitieren?
Zur aktuellen Situation des Internets
Seit die kommerzielle Nutzung des Internets zugelassen
wurde, wächst die Anzahl der Abonnenten ständig, der Datenverkehr
nimmt zu. Die Entwicklung der bedienerfreundlichen World-Wide-Web-Architektur,
die von "Browsern" wie dem Netscape Navigator und dem Microsoft
Explorer unterstützt wird, trug wesentlich dazu bei, den Zugang zum
Internet für den Konsumenten zu erleichtern. Zusätzlich wurde
das Bewußtsein der Konsumenten durch ausführliche Berichterstattung
und Diskussionen über den "Informationshighway" und das
Internet im besonderen deutlich erhöht.
Laut Schätzungen der Internetcommunity partizipieren
mittlerweile am Internet 40 Millionen User an 15 Millionen Computern,
die über 300.000 Netze in mehr als 100 Staaten verbunden sind. Weiters
wird angenommen, daß jeden Monat eine weitere Million Menschen dazukommen
und daß das World Wide Web mehr als 50 Millionen einzelne Dokumente
enthält.
Der Zugang zum Internet scheint in enger Wechselbeziehung
zum Alter und zur sozialen Stellung der Konsumenten zu stehen, wobei jüngere
und wohlhabendere Bevölkerungsschichten mit dem Medium eher vertraut
sind als andere Gruppen. Gegenwärtig ist die europäische Konsumentenschicht
klein und auf wenige "Pioniere" beschränkt, die einen passenden
PC zu Hause haben und es sich leisten können, mit diesem neuen Medium
zu experimentieren. Im Jahre 1997 waren die meisten Internet-Nutzer, wie
Tabelle 2 zeigt, Amerikaner:
Tabelle 2: Internet-Nutzer
nach geographischer Herkunft, 1997 |
x |
1997
|
Vereinigte Staaten |
70 %
|
Kanada |
10 %
|
Europa |
10 %
|
Asien |
7%
|
Andere Länder |
3 %
|
|
|
Gesamt |
100 %
|
Quelle: Yahoo/Jupiter. Robert Burnett: "Phonogram"
in: U. Carlsson (ed.) Media Sweden 1999, Göteborg 1999.
[nach oben]
Das Internet und die Musikindustrie
Das Musikgeschäft hat mit Musik oft recht wenig
zu tun. Es besteht im wesentlichen aus raschlebigen, unternehmensspezifischen
Produktions-, Marketing-, Lizenz- und Distributionsmechanismen. Wie viele
Produkte lassen sich auf welchen Märkten verkaufen, wie rasch können
sie versandt oder nachgeliefert werden etc. Mit dem World Wide Web als
potentiellem digitalen Absatzweg mit Hochgeschwindigkeit sind die Plattenfirmen
nicht länger in der Lage, die Verteilerkette zu kontrollieren. Eine
Folge könnte sein, daß sie die Nachfrage nach einem Produkt
nicht länger bestimmen können. Wenn Musik über das Internet
verbreitet wird, wird nur eine Originalaufnahme benötigt. Künstler,
die ihre eigenen Produkte schaffen, sind potentiell in der Lage, ihr Werk
zu produzieren, zu vermarkten und zu verbreiten, ohne daß die großen
Plattenfirmen eingeschaltet werden. Dieses Szenario führt im Extremfall
zur Ausschaltung der mittleren Abschnitte gewisser Absatzwege und zum
Zusammenbruch des Musikgeschäftes, wie wir es heute kennen. Zu diesem
Szenario wird es aber wahrscheinlich nicht kommen. Diese Annahme ignoriert
nämlich die möglichen Aktionen, die von den Hauptakteuren des
millionenschweren Musikgeschäfts gesetzt werden könnten, um
sich neu zu positionieren und um eine konkurrenzfähige Nische im
Feld der wechselhaften Konditionen der neuen Internetwirtschaft zu finden.
Es gibt eine Reihe komplexer Fragen bezüglich der
Technologie und des Copyrights, die es zu lösen gilt, bevor die digitale
Distribution von Musik kommerziell möglich wird. In der näheren
Zukunft werden die meisten Konsumenten weiterhin Musikaufnahmen in Form
von "hard copies" kaufen, momentan in Form von CDs (Compact
Discs), Mini Discs, Kassetten und Vinylplatten. Diese Produkte kann man
in verschiedenen Einrichtungen erstehen, wie z. B. in spezialisierten
Musikläden, Supermärkten, Tankstellen und über Versandkataloge.
In den 90er Jahren hat sich das Internet zu einem neuen Medium für
den Austausch von Informationen zwischen Unternehmen und Konsumenten entwickelt.
Potentiell ermöglicht es den Händlern, die Konsumenten zu niedrigeren
Kosten zu erreichen und zu beliefern, und bietet den Konsumenten mehr
Auswahl und niedrigere Preise vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben
Tage die Woche. Zwar ist der Anteil der im Web getätigten Geschäfte
noch relativ klein, doch ist das Umsatzvolumen steigend. Viele Firmen
erwägen bereits die Möglichkeiten des Online-Vertriebs.
Die Bedeutung und die Implikationen des Internethandels
werden in naher Zukunft vermutlich anwachsen, da die Technologien erschwinglicher
und verläßlicher und sich die Menschen der potentiellen Wirtschaftlichkeit
verstärkt bewußt werden. Weitere Vorteile für Organisationen,
die das Internet als Absatzmöglichkeit nutzen, sind die potentielle
Ausweitung der Märkte, eine bessere Befriedigung der Bedürfnisse
der Konsumenten, eine raschere Einführung innovativer Produkte und
Dienstleistungen, eine verbesserte Interaktivität zwischen Kunden
und Lieferanten, verbesserte Marktinformationen, sowie niedrigere Kosten
und ein rascherer Umschlag. Für eine kohärente Realisierung
dieser Vorteile müssen jedoch eine Reihe fundamentaler Veränderungen,
nicht nur innerhalb der Organisationen, sondern auf gesamtgesellschaftlicher
Ebene, stattfinden. Eine Reihe von Verbesserungen sind nötig: Finanzielle,
rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen müssen geklärt
und abgestimmt werden, die Themen Sicherheit, Datenschutz und Authentizität
müssen sowohl auf praktischer als auch gesetzlicher Ebene behandelt
werden.
Die relativ geringen Kosten für die Erstellung
einer Homepage, auf der Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden,
sind sowohl für existierende Händler als auch für Newcomer
attraktiv. Die Händler können direkten Kontakt mit den Konsumenten
aufnehmen und die diversen Zwischenstationen übergehen. Dadurch können
sie die Kosten für Zwischenhändler einsparen, wie z. B. für
Verteilungslager und die Aufrechterhaltung teurer Einzelhandelsgeschäfte.
Technisch ist das Web über das Internet in der ganzen Welt zugänglich.
Um jedoch bekannt zu werden und Profite zu machen, ist Werbung nötig,
und in dieser Hinsicht sind bekannte Namen und Marken in einer besseren
Position als Neuhinzugekommene, die für die Werbung beträchtliche
Summen aufwenden müssen. Dennoch sind die Newcomer in mancher Hinsicht
in einer vorteilhafteren Position als die Marktführer, und zwar nicht
nur aufgrund der niedrigeren Kosten, sondern auch, weil sie leichter auf
rasche Veränderungen von Kundenbedürfnissen reagieren können.
Die potentiellen neuen Konkurrenten am Online-Musikmarkt
sind sowohl große als auch kleine Firmen, wie etwa Musikeinzelhändler,
Versandhändler, Plattenfirmen, Rundfunk und auch neue Unternehmen,
die keine Erfahrung im Musikgeschäft haben. Anfänger haben sowohl
Nachteile wie auch Vorteile. Daher ist es für eine Firma, die in
Erwägung zieht, am Online-Musikmarkt teilzunehmen, von strategischer
Bedeutung, daß sie im Hinblick auf die Konkurrenz den richtigen
Zeitpunkt für den Markteintritt wählt und den gegenwärtigen
Stand der Kommunikationstechnologien und Dienstleistungen versteht.
Wie auch andere Dienstleistungsunternehmen ist auch
die Musikindustrie in Zusammenhang mit technologischer Innovation immer
wieder mit Strukturveränderungen konfrontiert. Die Musikindustrie
verdient erhöhtes Interesse, weil sie eine sehr innovationsintensive
Industrie ist und weil Informations- und Kommunikationstechnologien im
Zentrum ihrer Absatzpolitik stehen.
[nach oben]
Debatte 1
Kulturproduktion - Cyberspace und Musik
Die erste Debatte behandelt die Strukturveränderungen
durch die Neuen Medien und deren Einfluß auf den Kulturbetrieb im
allgemeinen und die Musiker im besonderen. Wie verändert sich die
Produktionsweise von Musik in einem digitalen Umfeld? Zu welcher Rollenverteilung
kommt es in diesem Umstrukturierungsprozeß? Welche neuen Möglichkeiten,
welche Restriktionen entstehen?
Es gibt derzeit Websites, die ein begrenztes Herunterladen
von audiovisuellem Material anbieten, und davon ausgehend, daß sich
die Übertragungskapazität des Netzes im kommenden Jahrzehnt
rasch steigern wird, ist es vorstellbar, daß das Internet eine wichtige
Absatzmöglichkeit für Musik und Video-Produkte wird. Die Online-Distribution
kann dazu führen, daß das materielle Produkt überflüssig
wird, was gravierende Implikationen für die Herstellung und die Verbreitung
von CDs, Kassetten, Schallplatten, Hüllen, Covers etc. hätte.
Es gibt Prognosen, daß sich die Verkäufe von CDs und Schallplatten
in den nächsten fünf Jahren einpendeln werden, dann zu sinken
beginnen, und daß die elektronische Verbreitung Marktleader wird.
Skeptiker meinen aber, daß solche Prognosen die Bedürfnisse
der Konsumenten negieren: Per definitionem beschränkt das Herunterladen
von Musik auf einen PC deren Mobilität, und viele Musikenthusiasten
wollen ein komplettes Produkt mit Cover, Text und Künstlerbiographie
besitzen.
Die Beobachter der Musikindustrie nennen im allgemeinen
drei Faktoren, die die Entwicklung der digitalen Verbreitung von Musik
behindern. Erstens die beschränkten Kapazitäten des Telekommunikationsnetzes
für die Übertragung von Musikdaten, zweitens den Versuch der
Musikunternehmen, ihre Produktions- und Verteilungswege zu schützen,
indem sie sich gegen diese Marktentwicklung entscheiden. Der dritte Faktor
bezieht sich auf die internationale Lizenzvergabe und das Copyright, die
durch die Verbreitung im Internet komplizierter werden: Digitale Musik
ist leicht zu kopieren, und vorhandenes durch Copyright geschütztes
Material kann auf eine Art und Weise wiederverwendet werden, die der Urheber
nicht beabsichtigte.
Dieser letzte Punkt wird oft von jungen Musikschaffenden
aufgegriffen. Es beginnt sich ein "digitales Leben" zu zeigen,
in dem "Sampling eine Lebenshaltung" für Musiker wird,
die das Leben oft als "permanenten Remix" in einem Prozeß
konstanter Bewegung sehen. Die Musiker sind dabei, die Rolle von "Livemusik"
neu zu interpretieren und produzieren kreative Websites. Man könnte
das auch eine "Rekombinationsmusik" nennen, bei der ein Künstler
etwas Altes und etwas Zeitgenössisches hernimmt und zu etwas Neuem
kombiniert. Der alte Produktionsprozeß des "Cut and Scratch"
der analogen Welt bekommt im digitalen Kontext eine andere, neue Form.
Die Digitalisierung hat bereits profunde Auswirkungen
auf die Studioaufnahmen, da durch die Manipulation von Klängen und
die Überarbeitung und Speicherung von Sounds eine größere
Anzahl an Möglichkeiten entsteht. Durch die neue Studiotechnik müssen
sich Musiker, die eine Tonspur aufnehmen, nicht einmal mehr persönlich
treffen. Begehrte Studiomusiker werden unter Vertrag genommen und produzieren
ihre Beiträge in Form einer digitalen MIDI-Datei bequem in ihren
Heimstudios. Die MIDI-Datei wird dann mühleos per Internet an den
Produzenten versandt, der sie den übrigen Tonspuren beimischt und
den Mix fertigstellt. Diese Art von "virtueller Beschäftigung"
verändert die dominanten Zeit- und Raumbegriffe von Arbeit.
Musiker wie Karlheinz Essl (Österreich) und Todd
Machover (USA) "komponieren im Cyberspace", wobei sie die Technologie
und das Internet als neue Produktionsmittel benützen. Dies kann tatsächlich
die Form interaktiver Realzeit-Kompositionen annehmen. Es gibt mehrere
interessante Beispiele, wie die neue digitale Computertechnologie das
Kompositionsfeld des Komponisten verändert, der bereit ist, diese
Möglichkeiten zu nutzen. Dieses Feld wird in Zukunft sicherlich noch
bedeutender werden.
[nach oben]
Debatte 2
Regulierung und Copyrightsysteme
Eine zentrale Aufgabe einer Plattenfirma ist die Schaffung
und die Verwertung des Urheberrechts der Tonaufnahmen. Die meisten Plattenfirmen
lassen Künstler zu diesem Zweck Verträge unterzeichnen, in denen
sie zustimmen, daß sie für eine bestimmte Zeit ausschließlich
bei einer Plattenfirma aufnehmen. Im Austausch für diese Verpflichtung
erhält der Künstler einen Vorschuß des Autorenhonorars
zu Beginn der Arbeit an einer Produktion, und die Plattenfirma besitzt
durch die Copyright-Gesetzgebung das Urheberrecht für diese Aufnahmen.
Die Copyright-Gesetzgebung ist ein essentieller Bestandteil
bei der Entwicklung eines Kundenkreises für Musikaufnahmen. Die vorhandene
Gesetzgebung wird aber zunehmend als unzureichend empfunden, um die Interessen
der Copyright-Inhaber zu schützen. Musikaufnahmen sind eine Information,
die, sobald man in ihrem Besitz ist, leicht - unter Umgehung der Kontrolle
durch den Verkäufer - vervielfältigt und verbreitet werden kann.
Die Verbreitung von Kassettenrecordern und die neue Entwicklung der elektronischen
Verbreitungsmöglichkeiten verschlimmern dieses Problem. Es gibt keine
Möglichkeit, um das Ausmaß des Musikpiratentums im Web genau
zu erfassen, es ist aber für Plattenfirmen, Einzelhändler und
Künstler gleichermaßen ein zunehmendes Problem.
Das Urheberrechtsschutzgesetz hat großen Einfluß
auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen eines Künstlers. Die Neuen
Technologien sind in dieser Hinsicht nicht nur für Musiker, sondern
auch für Politiker und Interessensgruppen eine große Herausforderung.
Der Grund dafür ist, daß das Urheberrecht ein zentraler Faktor
der Musikindustrie ist. Es ermöglicht den Plattenfirmen, Geld zu
investieren und kommerzielle Aufnahmen zu produzieren, die sowohl vor
Ort als auch auf Überseemärkten vertrieben werden können,
weil sie vor unautorisierter Reproduktion gesetzlich geschützt sind.
Das Copyright gewährleistet auch, daß die Gabe erfolgreicher
Künstler und Songwriter honoriert wird.
Es geht im wesentlichen um zwei Formen von Urheberrecht.
Erstens existiert ein Copyright auf die "musikalische Arbeit",
die der Künstler erbringt, auf den Text und die Musik eines Songs
oder einer Komposition. Daneben gibt es ein eigenes Copyright für
die "Tonaufnahme", wenn ein bestimmter Künstler ein musikalisches
Werk zur Aufführung bringt, und davon eine Aufnahme gemacht wird.
Im allgemeinen währt ein Copyright in der Musik bis 50 Jahre nach
dem Tod des Komponisten, das Urheberrecht einer Tonaufnahme erlischt 50
Jahre nach Veröffentlichung der Aufnahme.
Das Copyright einer Tonaufnahme ist normalerweise im
Besitz der Plattenfirma, wenngleich anderen die Lizenz am Copyright erteilt
werden kann. Das Urheberrechtsschutzgesetz gewährt dem Copyrightinhaber
eine Reihe von Rechten, wie das Ausschlußrecht, Kopien anzufertigen
und das Werk öffentlich zur Aufführung zu bringen (inklusive
Rundfunk). Deshalb erhalten die Inhaber des Copyrights auch Lizenzgebühren,
wenn eine Platte öffentlich (z. B. in Clubs oder Pubs) oder im Radio
oder im Fernsehen gespielt wird.
Die Anwendung des Copyrights wird territorial interpretiert
und durch Vereinbarungen abgesichert. Der gegenwärtigen Gesetzesstruktur
zufolge kann der Copyrightinhaber das Ausschlußrecht, Kopien des
Werkes anzufertigen, per Lizenz weitergeben. Der territoriale Charakter
dieses Rechts impliziert, daß der Copyrightinhaber den verschiedenen
Ländern eigene Lizenzen erteilt, wodurch Importe das Copyright verletzen.
Dadurch können die Musikunternehmen den Weltmarkt in unabhängige
territoriale Teilmärkte aufteilen und Preisdiskriminierung betreiben.
Es gibt mehrere Verträge, die internationale Normen
für den Schutz des Urheberrechts festlegen, allem voran die Berner
Konvention für den Schutz literarischer und künstlerischer Arbeiten.
Diese Verträge verbinden alle größeren Handelsnationen
und stellen ihnen das Instrumentarium zur Verfügung, die durch Copyright
geschützten Werke und Tonaufnahmen innerhalb ihrer eigenen Gesetzgebung
zu schützen. Wenngleich diese Verträge einen gewissen Mindestschutz
garantieren, müssen sie erneuert werden, um den Veränderungen
der Kommunikationstechnologien und -dienste gerecht zu werden. Manche
Beobachter glauben, daß der Cyberspace in vielleicht fünf bis
zehn Jahren in einer zukünftigen Gesetzgebung als einzelnes Territorium
betrachtet wird. Bis dahin wird Verwirrung vorherrschen. So ist bislang
nicht geklärt, ob beispielsweise die Rechte eines schwedischen Lizenzinhabers
verletzt werden oder nicht, wenn ein amerikanischer Lizenzinhaber die
durch Copyright geschützte Musik via Internet schwedischen Kunden
anbietet.
Die internationale Vereinigung der Plattenindustrie
hat ein persönliches Interesse an den aktuellen Copyright-Richtlinien
der EU und vor allem an den Novellierungen, die die Musikindustrie als
unerläßlich ansieht. Dazu gehören in erster Linie gesetzlich
geschützte technische Maßnahmen, um die Auslieferung von Werken
zu schützen und zu verwalten, und um zu verhindern, daß die
Rechte durch digitale Raubkopien unterlaufen werden; zweitens die Verleihung
des Ausschlußrechts für alle Formen der Kommunikation an die
Allgemeinheit; und drittens Maßnahmen, um die Herstellung und den
Verkauf von "Hacker"-Utensilien zu verbieten.
Es ist klar, daß diese Punkte in deutlichem Widerspruch
zur Perspektive der Künstler/Musiker stehen, die für die Freiheit
der Technologie eintreten. Es gibt "große Defizite" im
Bereich des Urheberschutzrechts in Europa, die in Angriff genommen werden
müssen. Auch wird es für die beteiligten Parteien, die verschiedene
"Rechte" kontrollieren, sehr wichtig sein, in Zukunft zu kooperieren.
Das Urheberrecht, wie wir es kennen, muß anpassungsfähig sein
und auf die neuen digitalen Bedingungen abgestimmt werden. Nur durch Flexibilität
wird es möglich sein, daß die Kunst von Technologie profitiert
und nicht die Technologie von der Kunst.
[nach oben]
Debatte 3
Musikdistribution und die digitale Herausforderung
Musikläden und Musiker werden heute zu Verlegern.
Welche Rolle bleibt dem Musikhändler in der Informationsgesellschaft?
Die Neuen Technologien bedingen neue Verteilungskanäle, die neue
strukturelle Rahmenbedingungen für den Kulturbetrieb erforderlich
machen.
Normalerweise schreibt ein Künstler seinen oder
ihren Song, der in einem Studio mit Hilfe eines Plattenproduzenten aufgenommen
wird. Sobald eine zufriedenstellende Originalaufnahme produziert ist,
wird diese von der Plattenfirma in die Produktionsstätte gesandt,
wo sie auf CDs, Kassetten oder Vinyl gepreßt wird. Die wichtigste
Aufgabe der Plattenfirma ist in der Folge das Marketing und die Verkaufsförderung
der Neuerscheinung sowie die Auslieferung an die Einzelhändler. Die
Verkaufsförderung kann in Form von Videos und Interviews im Fernsehen,
Werbeeinschaltungen in Musikzeitschriften und anderen Medien und durch
persönliches Auftreten des Künstlers erfolgen. Teilweise erfolgt
die Promotion in Kooperation mit bestimmten Händlern. Im Falle von
Pop-Aufnahmen wird angestrebt, daß die Aufnahme im Radio gepielt
wird und einen Platz in den Charts bekommt, wodurch die Verkaufszahlen
in die Höhe schnellen.
Heute gibt es ausgefeilte Pläne für den elektronischen
Handel der Musikfirmen, die unter dem Namen "Music on Demand"
(MoD) firmieren. Dies sind völlig neue Formen der Online-Verbreitung
von Musik, die die traditionellen Geschäftsabläufe der Musikindustrie
in Frage stellen. Zu den aktuellen Formen der Online-Verbreitung zählen
Streaming (ganze Musikstücke), Senden (ganze Musikstücke), das
Herunterladen von Ausschnitten oder ganzen Musikstücken, Internet-Versand
(reale Produkte) und TV-Einkauf (reale Produkte). MoD integriert diese
unterschiedlichen Techniken. Die Online-Verbreitung von Musik umfaßt
jede Form der Veröffentlichung von Musik in digitalem Format mit
Hilfe von Telekommunikationsnetzwerken und Computern ("digitale telematische
Betriebsumgebung").
Während viele Radiostationen Ende der 80er Jahre
eine Audiokomprimierungstechnologie (eine Technologie, um das Speichervolumen
von Audiodateien zu reduzieren) einsetzten, um Tonaufzeichnungen zu speichern
und auszutauschen, benötigten PCs nach wie vor erhöhte Computer-Kapazitäten
und verbesserte Verpackungsprogramme (Datenkomprimierungssysteme), um
die Musik digital kodieren zu können und um digital kodierte und
übertragene Musik empfangen zu können.
Seit Mitte der 90er Jahre entstanden durch neue Kodierungstechniken
(z. B. MPEG 3) öffentliche digitale Netzwerke, PCs mit schnellen
Prozessoren, Webtechnologie und elektronische Verrechnungs- und Zahlungssysteme
ein leistungsfähiger Markt für die Online-Distribution. Heute
sind Websites Teil der Marketingstrategie der meisten Plattenfirmen der
Welt, wenngleich die Online-Verbreitung ganzer Musikstücke noch nicht
üblich ist. Wie aber bereits erwähnt, haben die führenden
Unternehmen gemeinsam mit IBM in ein Pilotprojekt für die Online-Verbreitung
investiert.
Musiker können die Online-Distribution als Bedrohung
oder auch als Möglichkeit für eine verstärkte Präsenz
und erhöhte Verkaufszahlen betrachten. Die wahre Herausforderung
ist der Kampf um die Kontrolle der Musikdistribution, auf die die Künstler
und die Öffentlichkeit oft nur wenig Einfluß haben. Es gibt
mehrere potentielle "Interessenskonflikte" zwischen den Telekomgesellschaften,
den Software-Firmen und der Kulturindustrie. Eine Sorge ist, daß
der mögliche Beschäftigungszuwachs dieses Sektors in Telekom-
und Softwareunternehmen erfolgt und nicht im Kulturbetrieb. Für Künstler,
Konsumenten und alle anderen Involvierten besteht ein großer Bedarf
an kontinuierlichen Diskussionen über die Bedeutung der digitalen
Distribution und von "Music on Demand".
Es besteht ein Mangel an verständlichen, gut dokumentierten
Informationen über den Internet-Handel und speziell über das
Musikgeschäft im Internet. Dennoch können mehrere Arten von
Firmen, große wie kleine, unterschieden werden, die daran interessiert
sind, in den Online-Handel mit Musik einzusteigen: Einzelhändler,
Plattenfirmen, Versandfirmen, Newcomer und die Künstler selbst.
Sie alle müssen mit Telekomgesellschaften, Internet-Providern,
Rundfunkgesellschaften und Spezialisten für "Music on Demand"
konkurrieren.
Das größte Hindernis für die Ausweitung
des Internethandels ist die Kapazität der Infrastruktur. Für
die große Mehrheit der privaten User in Europa ist die Infrastruktur
das vorhandene Telefonnetzwerk. Dieses Netzwerk hat weltweite Ausdehnung
und den großen Vorteil, daß es zweiseitige Übertragungen
unterstützt. Es hat jedoch (in der gegenwärtigen Form) nur beschränkte
Kapazitäten, große Datenmengen zu übertragen. Langsame
Übertragungsgeschwindigkeiten haben die digitale Verbreitung von
Musik über das Internet gehemmt. Verzögerungen in den Datenübertragungen
werden auch durch die "Staus", die durch den raschen Anstieg
der Anzahl von Usern und das wachsende Volumen von Audio- und Video-Daten,
die durch das Internet rauschen, entstehen. Es gibt eine Reihe von technischen
Entwicklungen, die die Datenübertragungsgeschwindigkeit verbessern
würden, wie z. B. ausgereiftere Komprimierungstechniken, schnellere
Modems und elektronische Pfade, die größere Kapazitäten
für den Transfer der digitalen Daten bereitstellen.
Die Zutrittsanforderungen und Anschaffungskosten für
den User können erheblich sein. Erst muß man in ein netzwerkfähiges
Terminal wie einen PC und ein Modem investieren. Um Zutritt zum Internet
zu erhalten, muß der Kunde über die Telefonleitung oder eine
geleaste Leitung die Verbindung zu einem Provider, der den Internetzugang
ermöglicht, aufnehmen. Die Konsumenten bezahlen sowohl den öffentlichen
Telekommunikationsdienst (für die Verbindung, die Miete oder eine
eigene Telefonleitung) und den Internet-Provider (meist eine pauschalierte
Grundgebühr sowie ab Überschreitung einer bestimmten Grenze
die tatsächlich anfallenden Gebühren). Die Internet-Software
ist zunehmend in Bildschirm-Telefone, digitale Mobiltelefone, die neuen
digitalen Fernsehapparate und PCs integriert. Der Erfolg dieser Produkte
hängt jedoch nicht nur von der Qualität und dem Preis der Hardware,
sondern auch von der Qualität der Inhalte, die das Internet bietet,
ab.
Bevor sich der Internet-Handel weiterentwickelt und
das Internet von vielen verwendet werden kann, müssen noch einige
Probleme gelöst werden. Die Stichworte lauten: Vertrauen, Zahlungssysteme
und Sicherheit. Die Internet-User wissen noch nicht, wem sie online trauen
können oder welche Applikationen Mißbräuchen tatsächlich
vorbeugen. Was den Datenschutz betrifft, so ermöglicht der Internethandel,
das Kaufverhalten von Einzelpersonen zu dokumentieren. Die Konsumentenerwartungen
in bezug auf den Datenschutz differieren je nach Person und Kulturzugehörigkeit,
sind variabel und einer ständigen Veränderung unterworfen. Die
Konsumenten müssen sicher sein, daß die Firmen den Datenschutz
nicht verletzen und persönliche Informationen für aufdringliche
Marketingkampagnen mißbrauchen.
[nach oben]
Debatte 4
Standort und Beschäftigung
Die europäische Musikindustrie bietet mehr als
300.000 Vollzeitbeschäftigungen und erzielte im Jahre 1997 einen
Umsatz von mehr als 20 Milliarden ECU. Es gibt mehr als 3.000 Plattenfirmen,
die mehr als 25.000 CDs und Singles pro Jahr herausbringen. Die Plattenfirmen
selbst beschäftigen etwa 45.000 Menschen. Es gibt etwa 85 CD-Produktionsfirmen,
etwa 80.000 Personen sind im Musikhandel beschäftigt.
Die Einzelhändler erhalten die Aufnahmen von den
Plattenfirmen über verschiedene Kanäle. Etwa 60 Prozent gelangen
direkt durch den von der Plattenfirma bestimmten Vertragshändler
an den Einzelhändler, 30 Prozent über einen Großhändler,
und die verbleibenden 10 Prozent gehen per Versand an den Konsumenten.
Fast alle Lieferungen an die Einzelhändler erfolgen direkt an die
einzelnen Läden und nicht an zentrale Großhandelslager. So
erhalten z. B. die Filialen von Virgin die Lieferungen direkt von den
großen Plattenfirmen und anderen Verteilern.
Es gibt einen beschränkten Preiskampf bei den Handelspreisen,
da die Einzelhändler, zumindest in einem gewissen Ausmaß, das
gleiche Repertoire verkaufen. Die Läden sind oft nicht weit voneinander
entfernt. Sie müssen sich durch Preise (und Service) voneinander
unterscheiden. Die Läden bieten gewisse Alben im Sonderangebot an,
und die Preise variieren nicht nur zwischen den Ketten, sondern auch zwischen
den verschiedenen Filialen derselben Kette.
Sämtliche großen Plattenfirmen haben ein
eigenes Vertriebsgeschäft, daher bezieht ein Einzelhändler,
der direkt bei den Vertragshändlern bestellt, die Produkte aus verschiedenen
Quellen (von den fünf führenden Unternehmen sowie von unabhängigen
Großhändlern). Großhändler führen die Produkte
aller Plattenfirmen, weshalb ein Einzelhändler nur bei einem Großhändler
seine Bestellungen aufgeben muß.
Die relativ niedrigen Kosten für die Einrichtung
einer Handelsfiliale im Internet gibt den Plattenfirmen die Möglichkeit,
direkt an den Konsumenten zu verkaufen. Sie erwarten sich, daß sie
auf diese Weise die Handelsspannen umgehen und ihren Profit erhöhen
können. Es wäre jedoch möglich, daß die Konsumenten
die größere Auswahl, die die Einzelhändler bieten, bevorzugen;
die Einzelhändler bieten, bevorzugen; die Einzelhändler haben
den Vorteil, daß sie aus den Lagerbeständen vieler verschiedener
Plattenlabels verkaufen können. Das Internet als neue Absatzvariante
ermöglicht den Einzelhändlern eine Ausweitung ihrer Märkte,
ohne in neue Läden investieren zu müssen. Es ermöglicht
auch den Künstlern, direkt an die Konsumenten zu verkaufen, obwohl
ihnen unter Umständen die finanziellen Mittel fehlen, ihr Produkt/Werk
zu bewerben.
Die großen Plattenlabels haben seit mehreren Jahren
die Hegemonie auf dem internationalen Musikmarkt, was sich durch die Einführung
der MoD-Dienste drastisch ändern wird. Neue Hauptakteure der internationalen
Musikindustrie haben sich auf den Bereich Musik und Medien konzentriert.
Die Musikfirmen begannen, ihre eigenen "Music on Demand"-Dienste
anzubieten oder arbeiten mit Dienstleistungsanbietern und anderen Plattenlabels
zusammen, um MoD-Dienste anzubieten, die nicht nur Online-Musik, sondern
auch Multimedia-/redaktionelle Inhalte in Verbindung mit Musikaufnahmen
anbieten.
Die neuen Technologien beeinflussen die Beschäftigung
und die kulturelle Vielfalt. Welche Herausforderungen bedeutet das für
die Politik? Im Kontext digital verbreiteter MoD-Musik gibt es mehrere
Interessenskonflikte. Erstens wollen die Telekomgesellschaften nach dem
Prozeß der Kommerzialisierung und Deregulierung ihre Investitionen
durch das Angebot von Zusatzleistungen zurück bekommen. Zweitens
entwickeln die Software-Firmen eine Software für ein breiteres Publikum,
ohne die Kulturindustrie zu kennen (technologiegesteuert und nicht anwenderbezogen).
Drittens werden sich die Künstler zunehmend bewußt, daß
ihr Profitanteil aus dem internationalen Musikvertrieb relativ klein ist.
Diese Entwicklungen können unterschiedliche Auswirkungen
haben, die Musikindustrie befindet sich in einem Übergangsstadium.
Mit Hilfe verläßlicher Online-Dienste haben die kleinen Plattenfirmen
den gleichen Zugang zum globalen Markt wie die großen. Sogar Einzelkünstler
können die Produzenten und die Einzelhandelsläden in der Produktionskette
übergehen und weniger Kopien verkaufen und trotzdem mehr verdienen.
Der Nachteil dieses Szenarios ist, daß neue Arbeitsplätze im
Telekom-/Softwaresektor und nicht in der Kulturindustrie geschaffen werden.
Hier zeigt sich erneut die Janusköpfigkeit der Technologie: ein neues
verbessertes, effizientes Verteilungssystem für Musik auf Kosten
von Arbeitsplätzen im Einzelhandelssektor.
Zusammenfassung der Debatten
Wir betreten ein Territorium von Gegensätzen, Ambivalenzen,
Konflikten und Spekulationen über die digitale Zukunft. Die auf der
Linzer Konferenz geführten vier Debatten zeigen einmal mehr, daß
man die digitale Technologie entweder als Bedrohung oder als Potential
betrachten kann. Aufgrund von technologiegesteuerten Entwicklungen wie
dem Internet haben wir es mit einer neuen Beziehungsanordnung zwischen
Produzenten/Händlern/Konsumenten zu tun. Tatsächlich hat die
traditionelle Wertschöpfungskette der Medien eher zirkuläre
Form angenommen. Wir haben es auch mit einer wachsenden Konvergenz der
politischen Bereiche zu tun. Daher ist es wichtiger denn je, eine aktive
Politikentwicklung im Unterschied zu einer "reaktiven" zu fördern.
Alle wichtigen Akteure im Musikgeschäft werden
von den technischen Veränderungen der Vernetzungstechnologie - vor
allem durch das Internet - herausgefordert. Die Infrastruktur könnte
die Entwicklung der digitalen Distribution hemmen, es hängt von der
Musikindustrie ab, ob sie für diese innovativen Entwicklungen bereit
sein wird. Darüber hinaus reicht das existierende Urheberrechtsschutzgesetz
nicht aus, um die Musikfirmen oder die Künstler in dieser neuen digitalen
Arena zu schützen.
Gleichzeitig sollte man sich daran erinnern, daß
wir in einer Welt leben, in der fünf transnationale Musikfirmen das
globale Musikgeschehen steuern. Wenn wir im Bereich der Musik keine Hacker,
Piraten, Experimentatoren haben oder zulassen, könnte der Industrie
das Schicksal drohen, daß sie nichts Interessantes mehr zu verkaufen
hat!
weiterführende Literatur
Burnett, Robert: The Global Jukebox:The International
Music Industry, London 1996.
Negus, Keith: Producing Pop, London, 1992.
Wallis, Roger/Malm, Krister: Media Policy and Music Activity, London 1992.
Robert Burnett ist Leiter der Abteilung für
Medien und Kommunikation des Instituts für Kultur und Kommunikation
der schwedischen Universität Karlstad. Weiters ist er Forschungsleiter
der Arbeitsgruppe Communication: Media und Information Technology Research
Group der Universität Karlstad. Zu seinen Publikationen zählen
u.a.: "Concentration und Diversity in the International Music Industry"
(1990); "The Global Jukebox: The International Music Industry"
(1996), "World Wide Web Music Sites", Nordicom-Information,
Nr. 3-4 (1995), Journal for Media und Communications Research; gemeinsam
mit Deivert Berts Koautor von "Black or White: Michael Jackson's
video as a mirror of popular culture", Popular Music and Society
(1996).
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