Cultural worker - who are you?"

Kommentar

Heidi Grundmann
Kunstradio, Wien

 

Forschungsprojekte im Kulturbereich inklusive der auch in Österreich sporadisch auftauchenden Berichte zur Lage der bildenden KünstlerInnen, SchriftstellerInnen, KomponistInnen etc. sind problematisch und anfechtbar. Nicht nur, aber auch, weil das Problem der Definition dessen, wer nun eigentlich ein/e "KünstlerIn" ist, seit Jahrzehnten ungelöst ist und wohl auch noch einige Zeit lang ungelöst bleiben wird, (was manchen Stellen als Grund für das Hinausschieben anstehender gesetzlicher Regelungen etc. vielleicht nicht ungelegen kommt). Allen Studien zur Situation der Kunst- und Kulturschaffenden ist eines gemeinsam: Ihre Ergebnisse sind meist ziemlich bedrückend und verweisen eher auf die Figur eines marginalisierten, nebenberuflich und/oder unter hoher Selbstausbeutung tätigen Menschen als auf jemanden, auf den der uns in dieser Diskussion absichtsvoll vorgegebene Begriffs des "Entrepreneurs" zutreffen könnte. Der Entrepreneur hat übrigens als ins Deutsche übersetzter "Unternehmer" ein etwas weniger euphemistisches Bedeutungsumfeld als sein französisch-englischer Kollege: aus der Freiheit, der Kreativität, der risikofreudigen Eigeninitiative, den innovativen Fähigkeiten und den unlimitierten Möglichkeiten des potentiellen Erfolgs, die den "Entrepreneur" umgeben, werden beim "Unternehmer" realistische Kosten/Nutzen-Rechnungen, der Zwang zum Erfolg, die Anpassung an Marktmechanismen, die gesellschaftlich ausgehandelte Verantwortung für seine (Mit-)Arbeiter. Genau diese aber signalisiert, daß der Unternehmer z. B. in gewerkschaftlichen Fragen den Angestellten/ArbeiterInnen auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Zaunes gegenüber steht. Es erscheint mir problematisch, um nicht zu sagen leichtfertig, ihn jetzt in unmittelbarer Nähe des cultural workers anzusiedeln. Dadurch wird verschleiert, was der Begriff KulturarbeiterIn seit drei Jahrzehnten vor allem signalisieren sollte, nämlich, daß KünstlerInnen, AutorInnen, KomponistInnen etc. gesellschaftlich relevante Arbeit leisten (und dafür eigentlich auch entlohnt werden sollten, statt immer wieder in der Rolle von AlmosenempfängerInnen und BittstellerInnen an die Gesellschaft herantreten zu müssen).

Es ist kein Zufall, daß der Vortrag von Gerda Neyer 1 über die bezahlte und unbezahlte Arbeit von Frauen sehr vieles von dem hat anklingen lassen, was man - wie wir von Marie-Luise Angerer 2 und Andy Feist 3 gehört haben - in Studien und Berichten zum Bereich "Kultur und Beschäftigung" finden kann, (und jede/r halbwegs mit der Szene Vertraute aus eigener Anschauung bestätigen wird): die Zunahme des Self-Employments, der "Selbständigkeit" bei künstlerischen Berufen geht Hand in Hand mit einer hohen Arbeitslosigkeit bzw. hohen Minderbeschäftigung (viele Teil- und Nebenbeschäftigungen), mit geringem Einkommen und einer - zumindest in manchen Bereichen (den selbständigen?) - zunehmenden Feminisierung. Und das in einer Situation des Rückganges des finanziellen Engagements der öffentlichen Hand im Kultur-/Kunstbereich, einer Zunahme des internationalen Wettbewerbs, einer Deregulierung bzw. Unterwanderung gewerkschaftlicher und sozialer Errungenschaften, einer Aufgabe der Vollbeschäftigung als gesellschaftlicher Leitvorstellung und der damit in Verbindung stehenden Anforderung neuer "gepatchworkter" Lebensentwürfe selbst für Hochqualifizierte. 4

Müssen wir uns "nur" im Kulturbereich (und in Bereichen, die der Feminisierung anheimfallen) damit abfinden, daß eine ganz kleine Gruppe von sehr erfolgreichen "Entrepeneurs" einer großen Gruppe von erfolglosen gegenübersteht, die hie und da, wenn sie Glück haben, irgendwie zeitweise "jobben" und/oder - diese sehr verbreitete Unterhaltsmöglichkeit für Kunstproduzenten wurde noch gar nicht angesprochen - von Verwandten und/oder EhepartnerInnen leben? Mir erscheint es wahrscheinlicher, daß der Kulturbereich (und der Bereich der bezahlten/unbezahlten Tätigkeit von Frauen in unserer Gesellschaft) symptomatisch für grundlegende Tendenzen in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sind. Das würde allerdings bedeuten, daß wir hier nicht über die Beschäftigung (Bezahlung) eines großteils ohnehin marginalisierten Bereiches wie jenem der KulturproduzentInnen sprechen, sondern über so entscheidende Fragen wie der nach der Zukunft von "Arbeit", "Beschäftigung", "Unterhalt" im allgemeinen. Wir sprechen auch - und das könnte eventuell eine Chance sein - über ein Feld, in dem seit geraumer Zeit mit Modellen für in der allernächsten Zukunft möglicherweise bereits allgemeine relevante Lebenslinien und ihre gesellschaftlich-technologische Bedingtheit in der Praxis experimentiert wird.

Zu den Begrifflichkeiten, mit denen wir uns auch heute noch herumschlagen, hat es 1975 eine immer noch interessante Veröffentlichung gegeben: den Künstler-Report von Karla Fohrbeck und Andreas Johannes Wiesand 5. Berufswechsler, mediale, geografische Mobilität, als Lebensberufe nicht geeignete Tätigkeiten, breit gestreute Berufsfelder, berufliche Schwerpunkte auf der Basis gleichzeitig ausgeübter Tätigkeiten, nebenberufliche Künstler/verhinderte Hauptberufler, Auslandsmarkt, arbeitnehmerähnliche Personen, Freie Mitarbeiter, echte Selbständige, unternehmerähnliche Personen - der Künstler-Report versucht eine Vielzahl von sehr differenzierten Definitionen. Als UnternehmerIn - der/die ja schon seit vielen, vielen Jahren besonders bei der steuerlichen Gesetzgebung im Kulturbereich herumgeistert und jetzt manchmal als wünschenswerte Leitvorstellung dargestellt wird, sollte laut Künstler-Report jene/r gelten, der/die "den freischaffenden Ärzten, Rechtsanwälten etc." vergleichbar ist, "eigene Angestellte dauernd beschäftigt (bzw. ein vergleichbares wirtschaftliches Risiko trägt, das über den Einsatz der eigenen Arbeitskraft hinausreicht) oder dessen wirtschaftlicher Status eine selbständige Teilnahme am Marktgeschehen erlaubt" 6. 1975 waren es weniger als 10% der freischaffenden KünstlerInnen, die diesem Bereich zuzuzählen waren. (Ein Drittel kam aus dem Bereich Design). Was es schon damals sehr viel häufiger gab, waren sozialschutzbedürftige, wirtschaftlich eingeschränkte Freischaffende. Die von Fohrbeck/Wiesand eingeführte Kategorie des "Nebenberuflichen Künstlers bzw. verhinderten Hauptberuflers" war übrigens in den 70er Jahren keine Lösung sondern bekämpfenswertes Symptom eines unzureichenden Systems von "medien-, kultur- und berufspolitischen Maßnahmen".

Ist es ein Fort- oder Rückschritt oder schlicht ein Aufderstelletreten, wenn es bei diesem Kongreß heißt: "Technologiepolitik braucht Kulturpolitik" 7? Selbst in Österreich ist immer wieder von seiten der Kulturproduzenten - allerdings ohne Konsequenzen für sie und in der Politik - das Wort von der Medien- und Technologiepolitik gefallen, die Kulturpolitik ist.

Der Bereich der Neuen Technologien wird beschäftigungspolitisch häufig als ein großes Hoffnungsgebiet dargestellt: Zur Ernüchterung sei nur auf das Teleworking (und seine problematischen Auswirkungen gerade auf die gesellschaftliche Situation von Frauen) hingewiesen und auf einen ganz neuen Bereich der Fremd- und Selbstausbeutung nicht nur in Ländern der dritten Welt, wo auch zur Softwareerstellung billige Arbeitskräfte angeheuert werden, sondern in hochindustrialisierten Ländern. Andrew Ross hat zumindest einen Teil der "digital artisans" (Richard Barbrook) in New York in ausbeuterischen "Sweatshops" aufgefunden, wo diese zum Großteil jungen Leute unter Mißachtung gewerkschaftlicher Regelungen bis zur physischen und psychischen Total-Erschöpfung an Home-(Shopping-)Pages etc. arbeiten. 8

Ein anderes Problem in diesem Bereich ist das der Ausbildung: Die neuen interdisziplinären, kollaborativen Arbeitsmethoden, die von der Konvergenz von Massenmedien, Telekommunikation und Computer eingefordert werden, stehen kaum irgendwo auf dem Lehrplan und wenn, dann immer der technischen Entwicklung nachhinkend. (Ganz zu schweigen von Andy Feists "managerial and technical competence" oder seiner Vorstellung vom "omni competent cultural entrepreneur", von Menschen, von denen er meint "in particular they will have successfully combined the skills of creator with marketer, promoter, distributor and retailer" 9.) Junge Menschen finden selbst ihren Weg in die Produktion z. B. in den Kommunikationstechnologien und geben ihr Wissen über geografische, mediale und über Generations-Grenzen hinweg an andere weiter - unbezahlt. Sie haben in einer distribuierten telematischen Produktion/Distribution in komplexen medial/gesellschaftlichen Kontexten keine Produkte ja nicht einmal endgültige Resultate von Prozessen und Events anzubieten. Sie gestalten - gemeinsam mit anderen - viele vorläufige sich schnell wieder verändernde vernetzte Situationen, und erproben, erforschen, erfinden und definieren dabei neue Kulturtechniken: Kompetenz als Kultur.

Marie-Luise Angerer hat auf die veränderte Arbeitssituation von Medien-AbeiterInnen und wissenschaftlichen ProduzentInnen hingewiesen. Ihre ohnehin prekäre Situation wird wie die aller überhaupt noch als "hauptberuflich/ professionell" zu erfassenden Kunst- und KulturproduzentInnen durch die Tätigkeit jener zahlreichen MedienaktivistInnen, -künstlerInnen, -theoretikerInnen noch mehr verunsichert, die unbezahlt ständig "alternative" Nachrichten-, Kunst- und Theorieströme produzieren. Diese "alternative" Produktion erfüllt übrigens in der Korrektur, Relativierung und Kritik des Mainstream-Infotainments eine wichtige demokratiepolitische Funktion.

Slavoj Zizek spricht davon, daß wir uns in einer Zeit der Kulturalisierung der Ökonomie befinden. "Es ist nicht mehr nur die Kultur, die als ,Kulturindustrie' Teil des Marktes wird, sondern der Markt organisiert sich zunehmend als Teil der Kultur. Sehen wir uns nur Unternehmen wie Microsoft an: Software, Dienstleistungen, Cyberkultur, all das wird ununterscheidbar." 10 Ein kurzer Absatz wie dieser entschleiert Schlagworte wie "Kultur als Kompetenz", "cultural worker/,entrepreneur'" usw. als Kürzel für Fragestellungen, die wirkungslos bleiben müssen, weil sie selbst nur Symptome des Problems sind. Das gilt dann auch für jene Strategien, die bewußt versuchen, die Diktion z. B. der wirtschaftsorientierten Europäischen Gemeinschaft aufzugreifen, um in affirmativer Unterwanderung Änderungen der kulturpolitischen Situation herbeizuführen.

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1-3 Vgl. ihren Beitrag in vorliegendem Band.

4 Vgl. dazu die von Andy Feist geschilderte britische Situation.

5 Karla Fohrbeck/Andreas Wiesand, Künstler-Report, München 1975.

6 Ebd., 354.

7 "Technologiepolitik braucht Kulturpolitik" war das Motto des dritten Tages der Linzer Konferenz, siehe Programm im Anhang.

8 Vgl. "An Unfashionable Cause. Andrew Ross on the recent sweatshop exposés" (January 31, 1997) http://www.feedmag.com/97.01ross/97.01ross.html

9 Vgl. den Beitrag Andy Feist.

10 Slavoj Zizek, "Das falsche Lächeln der Toleranz", in: Der Standard, 17./18. April 1999, A7.

 

Heidi Grundmann ist seit mehr als 25 Jahren Kulturreporterin, Kunst- und Theaterkritikerin und Redakteurin und Programmproduzentin beim ORF (Österreichischer Rundfunk und Fernsehen). Im Jahr 1987 gründete sie die Radiosendung "Kunstradio Radiokunst" (Originalkunstwerke für das Radio), deren Kuratorin sie immer noch ist. KUNSTRADIO ist eine vierzigminütige Sendung, die wöchentlich in Ö1, dem Kulturradioprogramm des ORF, gesendet wird. Sie war an vielen telematischen Kunstprojekten beteiligt wie z.B. "REALTIME" (1993), einer interaktiven Livesendung für Radio und Fernsehen, "ZEITGLEICH" (1994), einer Kombination von Symposium, Seminar und Ausstellung, "HORIZONTAL RADIO" (1995), einem 24stündigen Live-Multimedia-Radioprojekt und dem Nachfolgeprojekt "RIVERS&BRIDGES" (1996). Im Jahr 1997 war sie Kuratorin von "RECYCLING THE FUTURE", einer Studie von Radio-, Online- und On-site-Kunstproduktionen und ihren theoretischen Implikationen (Hybrid Workspace, DX, Kassel; Ars Electronica, Linz; internationales Symposium, Wien). 1998 war sie Kuratorin von "IMMERSIVE SOUND", einer sechswöchigen On-site-Online-Radioinstallation (Kunst in der Stadt II, Bregenz, Austria), und "STATIC BETWEEN THE STATIONS" (OPEN X beim Festival Ars Electronica '98, Linz), ein Projekt gemeinsam mit RADIO FRO, Linz. Sie ist Vortragende und Autorin im Bereich Kunst und Neue Medien; derzeit beendet H. Grundmann ihre zweite Amtszeit als Koordinatorin der "Ars Acustica", der Arbeitsgruppe der EBU (European Broadcasting Union) zum Thema Radiokunst.

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