Kulturelle Kompetenz / Kulturen elektronischer Netzwerke

Bericht der Arbeitsgruppe 2

 

Rapporteurin
Marleen Stikker
De Waag, Society for Old and New Media, Amsterdam

 

In einer Zeit, in der das Internet in vielen Bereichen der Gesellschaft große Akzeptanz gefunden hat, zeigen sich nun auch seine Schattenseiten. Einerseits macht es seine distributive Natur zum demokratischsten Medium, das unsere Gesellschaft je kannte. Doch andererseits erleben wir eine bisher ungeahnte Konvergenz von Macht und Monopolisierung in der Medienlandschaft, die sogar die Prinzipien der Dezentralisierung, die dem Internet zugrunde liegen, gefährdet.

Es besteht kein Zweifel an der Monopolisierung von Macht und Besitz im Internet. Global gesehen ist die Bandbreite genauso ungleichmäßig verteilt wie andere Ressourcen, wie Nahrung, Energie und Information. Wo die Technologie den Menschen eine Plattform bieten würde, um sich mitzuteilen, werden Infrastruktur, Software und Installationspakete vom Markt in eine konsumorientierte Technologie verwandelt, bei der sich die Interaktivität immer mehr darauf reduziert, die Befehlstaste KAUFEN zu drücken.

Die Regierungen setzen bei ihren Investitionen vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung der Informationsgesellschaft. Die Regulierung soll nur den nötigen rechtlichen Rahmen schaffen, in dem sich der Markt frei entfalten kann. Die einzigen sozialen Bedenken der politischen Gruppierungen sind moralischer Natur. Die Angst vor Kinderpornographie, Rassismus und kriminellen Aktivitäten war Auslöser für diverse Bemühungen einer Regulierung. Allerdings werden die Fragen der "Cyberrechte" und des Datenschutzes, wenn überhaupt, höchstens angeschnitten, und die Fragen des Copyrights werden nur im Sinne des Schutzes wirtschaftlicher Interessen diskutiert.

Möchte man das demokratische Potential nützen, das in den neuen Kommunikationstechnologien steckt, ist es erforderlich, aktiv in die Gestaltung der "public domain" der Medien einzugreifen. Die Herausforderung einer Gestaltung stellt sich der zivilen Gesellschaft als Ganzes, und nicht nur dem Markt.

Staatliche Regulierung ist nicht das primäre Anliegen, wenn eine public domain in den elektronischen Netzen geschaffen werden soll. Natürlich können die Regierungen adäquate politische Instrumente zur Verfügung stellen, um vor einer Monopolisierung zu schützen oder die Bürgerrechte und die wirtschaftlichen Rechte zu bewahren. Doch hinken die Regierungen in ihrer Rolle als Gesetzgeber und Hüter des Gesetzes den neuesten Entwicklungen in der Gesellschaft im allgemeinen meist recht weit hinterher.

Eine "public domain" entsteht, wenn Einzelpersonen Verantwortung für die soziale und kulturelle Gestaltung ihres Lebensraums übernehmen. Der Staat hat die Aufgabe, sicherzustellen, daß die Individuen ihr soziales und kulturelles Potential entfalten können. Dies ist die Verantwortung, die der Staat hinsichtlich der Entwicklung einer "public domain" innerhalb der Infrastruktur der neuen Medien zu übernehmen hat.

Public Domain 2.0 - die virtuelle public domain - ist eine "Terra incognita", die sich parallel zur technischen Entwicklung vor uns entfaltet. Viele Organisationen und Einzelpersonen, die in einem kulturellen oder sozialen Bereich tätig sind, haben sich die Technologie erfolgreich zunutze gemacht, sodaß Software und Hardware heute nicht mehr die alleinige Domäne der großen Konzerne und IT-Experten sind. Die Regierungen ignorieren großteils die Tatsache, daß wir bereits heute in einer technologischen Gesellschaft leben. Das bedeutet auch, daß die Technologie eines der Werkzeuge ist, derer sich die Kreativität bedient. Die Technologie existiert nicht ohne uns, sie ist integraler Bestandteil unseres Seins. Der soziale, kulturelle und wirtschaftliche Kontext unseres Lebens wird durch Technologie gestaltet.

Wenn wir das als gegeben annehmen, stellt sich die Frage, wie möglichst viele Personen an dieser Entwicklung der Informationsgesellschaft teilhaben können. Die Lösung ist nicht die Investition in große IT-Konzerne oder ihre Förderung. Viel lohnender ist es, Kreativität, die da ist, die in unserer Gesellschaft steckt, zu aktivieren und einen Rahmen zu schaffen, in dem sie sich auch tatsächlich entfalten kann. Dazu ist es dringend notwendig, Menschen nicht nur als passive Konsumenten der neuen elektronischen Dienste sondern als aktive Teilnehmer an diesem Gestaltunsprozeß wahrnehmen zu können und zu wollen.

In den letzten Jahren wurde bei verschiedenen Treffen und Tagungen viel Energie und Zeit für die Formulierung von Maßnahmenkatalogen für eine Neue-Medien-Kultur aufgewendet. In London und Hérimoncourt entstand der Text "KünstlerIn, BürgerIn, UnternehmerIn" (1997). In Souillac wurde der Entwurf für "Kapitel Kunst & Industrie" (1997) erarbeitet, in Amsterdam enstand die "Amsterdamer Agenda, von der Praxis zur Politik" (1997) und in Madeira erarbeitete eine Gruppe das Papier "Vernetzung der Innovationszentren" (1998). Die Linzer Konferenz "Kultur als Kompetenz" ist eine wunderbare Gelegenheit, einen Überblick über die neue europäische Medienkultur vorzustellen und die bisher erarbeiteten Maßnahmenkataloge im Sinne neuer und neuster Anforderungen zu aktualisieren.

 

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Künstlerin, Bürgerin, Unternehmerin

Das Londoner Seminar "KünstlerIn, BürgerIn, UnternehmerIn" begann mit der schlichten Feststellung, daß digitale Medien und Telematik neue Innovationsmöglichkeiten darstellen: Innovation im Bereich kultureller Produktion, wirtschaftlicher Entwicklung und des sozialen Kontextes wie auch des Alltagslebens. Ein weiterer Ausgangspunkt der Konferenz war ein Konsens darüber, daß KünstlerInnen etwas verändern können, wenn sie sich in den wachsenden Markt der Neuen Medien integrieren. KünstlerInnen können ihren spezifisch eigenen Teil dazu betragen, daß die neuen Informationsbereiche tatsächlich kulturelle Bereiche bleiben. Zudem können KünstlerInnen durch soziale Projekte zum Aufbau und zur Erhaltung der zivilen Gesellschaft beitragen, einen breiteren Zugang (für viele) sichern. Nicht zuletzt aber können KünstlerInnen bei der Entwicklung der europäischen digitalen Medien bedeutende Initiativen setzen.

Das Seminar "KünstlerIn, BürgerIn, UnternehmerIn" wurde von Artec in England und CICV Pierre Schaeffer in Frankreich in Zusammenarbeit mit dem englischen Arts Council und dem Europarat entwickelt.

URL: http://www.artec.org.uk/seminardoc/ACEreport.html

Nach der britischen Konferenz "KünstlerIn, Bürger, Unternehmer" wurde von Digital Media Alliance ein Bericht publiziert, in dem unter anderem auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den digitalen Medien hingewiesen wurde. Die Studie "Wachstumsmarkt: Digitale Medien in Großbritannien", die Ende 1998 veröffentlicht wurde, ist eine Initiative von Artec, Channel 4, Pact und dem Arts Council of England. Wenngleich sich diese Studie konkret auf die Situation in Großbritannien bezieht, kann sie eine Struktur für eine europäische Studie über Entwicklungen und Möglichkeiten abgeben.

Ein Zitat aus der Studie "Wachstumsmarkt: Digitale Medien in Großbritannien": "Die digitalen Medien sind ein zentraler Faktor für unseren zukünftigen Wohlstand. Sie sind zentraler Teil der kreativen und der digitalen Ökonomie. Es ist anzunehmen, daß in Großbritannien die Beschäftigungszahl in den digitalen Medien von 20.750 im Jahr 1998 auf mehr als 100.000 im Jahr 2007 ansteigen wird. (...) In den digitalen Medien gibt es viele talentierte, wendige und kreative Unternehmen, die zwar noch klein, aber aufstrebend sind: Mikrofirmen und KünstlerInnen mit hohem kreativen Potential und wenig Kapital. Sie agieren an den Grenzen der traditionellen Industrie und erkunden den kreativen Raum zwischen differenten Medien. Zudem sind diese kleinen Unternehmen mit massiven betrieblichen, juristischen Problemen und Regulierungsfragen konfrontiert, die einzigartig im Kontext der Entstehung der neuen digitalen Ökonomie sind. (...) Die Industrie ist sehr schnellebig, die Berufsbezeichnungen und Funktionen ändern sich beinahe so rasch wie die Industrie selbst. Die wichtigsten Kompetenzen sind:

- Design, Entwicklung und Integration
- Publishing inklusive Kumulation und Distribution von Inhalten
- Möglichkeiten der Entwicklung von Tools und Technologie
- Dienstleistungen inklusive Wissensmanagement und Consulting"

Die Studie ist im Internet abrufbar unter:
http://www.artec.org.uk/dma/index.html

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Kapitel Kunst & Industrie

Diese Konferenz, die im Juli 1997 in Souillac stattfand, hatte das Ziel, eine Charta zu entwickeln, die eine neue Form der Interaktion zwischen Kunst und Industrie für die Entwicklung eines weltweiten interaktiven kulturellen Netzes definiert.

Ein Zitat aus dem "Kapitel Kunst & Industrie": "Zeitgenössische KünstlerInnen setzen sich intensiv mit den Neuen Technologien auseinander. Es prägte das gesamte 20. Jahrhundert, daß KünstlerInnen mit Neuen Technologien experimentieren, die sie - sobald verfügbar - als neue Gestaltungsmittel benutzten, wobei vielfach gänzlich neue Ausdrucksformen kreiert wurden, die sich grundlegend von den ursprünglichen Intentionen der Verwendung dieser Technologien unterschieden. Viele Entwicklungen in der Sprache der Ton- und Bildkommunikation basieren zumindest teilweise auf künstlerischer Inspiration. Indem KünstlerInnen ein gewähltes Kommunikationsinstrument bis auf das Äußerste ausreizen, erfinden sie neue Tools. Die Summe der künstlerischen Outputs eines speziellen Mediums verweist oft auch darauf, wie sich das Medium zukünftig entwickeln wird. Aber die Industrie ist sich dessen vielfach nicht bewußt bzw. ignoriert die Tatsache, daß die spezifische Form der künstlerischen Erforschung der Verwendung neuer Tools zu inhaltlichen und auch Hardware-Innovationen geführt hat." (...)

"Engere Kooperation (zwischen Kunst & Industrie) liegt im Interesse aller. Die Fragen, die sich aufgrund der neuesten Kommunikationsformen stellen wie auch ihre Antworten konzentrieren sich nicht auf einen singulären Sektor, sondern müssen durch gemeinsame, interdisziplinäre Anstrengungen gefunden werden, um den parallel zu diesen Veränderungen auftretenden Blockierungen entgegenzusteuern. Voraussetzung dafür ist die generelle Erkenntnis, daß in unserer Gesellschaft ein massiver und grundlegender Wandel stattfindet, der auf einer radikalen Veränderung des kommunikativen Potentials basiert. Alle Beteiligten sind aufgefordert, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Kooperation zu prüfen, damit dieses neue Potential bestmöglich für die gesamte Gesellschaft genützt werden kann."

Die Arbeitssitzung zur Entwicklung der Charta wurde gemeinsam organisiert von: dem Laboratoire de Langage Electronique, dem Centre International de Création Video, dem Information Society Observatory, dem European Institute, der London School of Economics und der International Telecommunication Union.

URL: http://mitpress.mit.edu/e-journals/Leonardo/isast/ articles/souillac/souillac

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Die Amsterdamer Agenda,
von der Praxis zur Politik (P2P)

MedienexpertInnen aus ganz Europa waren an der P2P-Konferenz beteiligt. Eines der Ziele der Konferenz war die Erstellung von Richtlinien und Vorschlägen für eine europäische Medienpolitik. Dieses Dokument bekam den Titel Amsterdamer Agenda.

Die Amsterdamer Konferenz identifizierte zahlreiche praktische Beispiele, in den denen MedienkünstlerInnen bereits jetzt eine zentrale Rolle in der entstehenden Informationsgesellschaft spielen. Allerdings ist eine aktivere Interaktion zwischen politisch Verantwortlichen und den aktuell ablaufenden Projekten und Prozessen erforderlich.

Im Vergleich zur Industrie- und Wirtschaftspolitik haben MedienkünstlerInnen zahlreiche neue Interaktionsparadigmen, neue Formen der Kooperation und neue Sichtweisen anzubieten. Für beide - Kunst und Industrie - ist ein produktives Zusammenspiel wünschenswert, in dem die Kunst ihre Autonomie behält und bei dem Kunst und Industrie voneinander lernen wie auch wechselseitig von Fortschritten und Talenten profitieren können. Viele MedienkünstlerInnen sind der Ansicht, daß ihre Partner aus der Industrie nicht nur technisches Know-how und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen, sondern Projekte auch inhaltlich aktiv mitgestalten sollten. Die öffentliche Unterstützung kann hier zu einem Katalysator für die Förderung des privaten Sektors werden. Die Medienkultur ist dann am produktivsten, wenn sie an der Schnittstelle zwischen Kunst und Industrie tätig sein kann, ohne total in einen der beiden Sektoren integriert zu werden.

Bezogen auf bildungspolitische Anliegen kann eine Kooperation zwischen Medienkultur und Bildungssektor zwei Ziele verfolgen: Menschen zu kompetenten und kritischen BenutzerInnen der ICT zu erziehen, und Methoden zu entwickeln, die die formelle und informelle Ausbildung mit Hilfe von Multimedia/ICT-Produkten fördern. Neben der formellen Ausbildung in den Neuen Medien, die heute von Bildungseinrichtungen und den Akademien für Neue Medien angeboten wird, wird ein breites Spektrum an informellen Ausbildungsformen von unabhängigen Organisationen abgedeckt. Viele KünstlerInnen und MedienarbeiterInnen verbinden großes Talent und Wissen mit dem Bewußtsein um das Potential und die Gefahren der Neuen Medien. Eine Kooperation und der Wissenstransfer zwischen dem unabhängigen Kunst- und Kultursektor einerseits und dem Bildungssektor andererseits kann durch professionelle Austauschprogramme und multiinstitutionelle Projekte, an denen PraktikerInnen, AdministratorInnen und StudentInnen beteiligt sind, ausgeweitet und intensiviert werden.

Die P2P-Konferenz wurde im November 1997 von der Dutch Virtual Platform organisiert, einer Vereinigung von Kulturzentren aus dem Bereich der neuen Medienkultur (Mitglieder: V_2, De Waag/The Society for Old and new Media, De Balie, Design Institute, Montevideo, STEIM et al.), und von der niederländischen Regierung sowie dem Europarat unterstützt. URL: http://www.dds.nl/p2p

 

Innovationszentren

Bei der Konferenz auf Madeira konzentrierten sich die TeilnehmerInnen auf praktische Lösungen. Noch wichtiger als die Erstellung von politischen Maßnahmenkatalogen ist es nämlich, daß ein Netzwerk, das Menschen und Organisationen verbindet, initiiert werden konnte, was einen wesentlichen Teil der Entwicklung von Neuen Technologien, wie wir sie heute diskutieren, ausmacht. Dieses informelle Netz von Personen ist die tatsächliche Basis, der Motor für die Etablierung eines kulturellen und sozialen Rahmens der Informationsgesellschaft in Europa.

Deshalb ist die zentrale Frage auch nicht, wie die allgemeinen politischen Programme und rechtlichen Strukturen implementiert werden können, sondern der Fokus liegt in der Stimulierung einer verstärkten Teilnahme von Einzelpersonen und Gruppen.

Unsere Aufgabe ist es nun, Möglichkeiten der Entwicklung und des inspirierenden Austausches innovativer Modelle und Ideen im kulturellen Bereich zu finden und diese dann für größere und breitere Bevölkerungsgruppen weiterzuentwickeln und zu adaptieren.

Die VertreterInnen oder AkteurInnen in dieser Struktur der sogenannten Innovationszentren bilden kreative Pole, kulturelle, soziale und pädagogische Zentren, Labors und öffentliche Räume im Bereich der Neuen Technologien. Beschreiben lassen sich diese Innovationszentren wie folgt: Sie schaffen kulturelle und pädagogische "contents"/Inhalte und Kontexte, forschen und experimentieren mit dem kulturellen und pädagogischen Potential der Neuen Technologien, fördern die kulturelle und sprachliche Vielfalt, sind ein öffentliches Forum für einen Dialog über die neue digitale Kultur, fördern Ausdrucksfreiheit und Kreativität in den digitalen Medien, erleichtern und motivieren die aktive Teilnahme der europäischen BürgerInnen an der Informationsgesellschaft, kreieren neue Partnerschaften zwischen öffentlichen Behörden, ziviler Gesellschaft und Industrie und unterstützen den sozialen Zusammenhalt, die soziale Kohäsion und schaffen neue Berufsbilder und Jobs.

Die Konferenz auf Madeira wurde von Terravista in Zusammenarbeit mit dem Europarat organisiert.

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"Kultur als Kompetenz" / kulturelle Kompetenz

Bei der Linzer Konferenz "Kultur als Kompetenz" (Oktober 1998) waren ungefähr zwanzig VertreterInnen dieser Innovationszentren anwesend. Sie diskutierten verschiedene Modelle und Formate wie Medienlabors, Gemeinschaftszentren, KünstlerInneninitiativen und Mikrofirmen in den verschiedenen Größenordnungen (kleine, mittlere oder große Unternehmen). Neben den Institutionen waren auch viele informelle Netzwerke präsent. Diese informellen Netzwerke wie The Next Five, Nettime, V2_East/Syndicate, Xchange und the Old Boys basieren auf dem Austausch von Wissen und Ideen.

Auch wenn das Internet auf universellen Technologien, Standards, Ausstattungen und Protokollen aufbaut, können trotzdem Modelle nicht einfach auf einzelne Länder übertragen werden. Wissen um den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontext ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung von Modellen.

Die TeilnehmerInnen der Linzer Konferenz "Kultur als Kompetenz" kamen zu dem Schluß, daß es nötig wäre, die Initiative der Vernetzung der Innovationszentren weiter zu treiben. Folgende Deklaration wurde erstellt und verabschiedet.

 

 

Deklaration: "Kulturen elektronischer Netzwerke"

Bericht der Arbeitsgruppe 2

 

"Wir sollten durch Vernetzung (Konzentration von Ressourcen, Expertise, Verwendung von Technologien) die europäische Vielfalt fördern, um die Wettbewerbsfähigkeit der audiovisuellen Industrie Europas zu erhöhen."
Spyros Pappas, Generaldirektor, DGX, Europäische Kommission

 

Dieses Dokument enthält Empfehlungen der Arbeitsgruppe "Kulturen elektronischer Netzwerke", die im Rahmen der Konferenz Kultur als Kompetenz anläßlich der österreichischen EU-Präsidentschaft im Oktober 1998 tagte.

[Europa wird in diesem Dokument über die Grenzen der Europäischen Union hinaus definiert.]

 

1. Einleitung

Die digitalen Medien sind zentraler Bestandteil des künftigen Wohlstands in Europa. Ein Wirtschaftswachstum ist nur möglich, wenn die neue Medienkultur innovativ, vielfältig, breit gestreut und anregend ist.

Die kulturellen Aktivitäten in den digitalen Medien fördern die Innovation auf allen Ebenen, da ein ständiger Austausch von Fähigkeiten, Ideen, Infrastruktur und Menschen zwischen den verschiedenen Sektoren stattfindet. Diese innovative Marktaktivität kann nur aufrechterhalten werden, wenn die kreative Forschung ohne Erwerbscharakter, von der sie abhängt, eine permanente und kontinuierliche Grundlage hat und der Transfer zwischen kommerziellen und "non-profit" Bereichen problemlos funktioniert.

In Europa entsteht gerade eine neue Medienkultur. In unabhängigen Innovationszentren für Kunst und Medien wie auch Mikrofirmen werden neue Praktiken in Bildung, Kunst, Populärkultur, Sozialwissenschaften sowie wirtschaftliche und industrielle Entwicklungen gefördert. Diese Institutionen gehen davon aus, daß die Technologie nicht kulturell neutral ist. Sie betreiben Basisforschung im Bereich der sich rasch wandelnden Strukturen, die die Grundlage der europäischen Gesellschaften sind: Entwicklung, Bildung, Beschäftigung, Wirtschaft, Recht, Verteilung und Menschenrechte. Technologie ist Kultur.

Die talentierten und flinken Organisationen in diesem Innovationsnetz sind klein und aufstrebend. Sie stoßen an die traditionellen Grenzen und erkunden den kreativen Raum zwischen den differenten Sektoren und Medien. In ganz Europa bilden sie ein dynamisches Netzwerk, das zu den tatsächlich treibenden Kräften zählt, die einen kulturellen und sozialen Rahmen für die europäische Informationsgesellschaft begründen.

Dieser Bericht legt Wert auf die Feststellung, daß die europäischen Institutionen Maßnahmen und Politiken entwickeln müssen, die sich der Dynamik digitaler Praktiken bewußt sind. Im letzten Kapitel werden der Europäischen Kommission spezifische Handlungsempfehlungen gegeben.

 

2. Einsatz von Mikrofirmen und Innovationszentren

Die Präsentationen in der Arbeitsgruppe zeigten, daß in Europa bereits ein informelles Netz aus unabhängigen KünstlerInnen und ProduzentInnen, Mikrofirmen und Organisationen, die kreative Innovation in der Medienkultur vorantreiben, existiert.

Zu den Charakteristika dieser Netze und Innovationszentren, die in Linz vertreten waren, zählen: eine aufstrebende pädagogische Initiative, die Berufsmöglichkeiten vorwegnimmt und neue Berufsbilder schafft; eine dynamische Kulturinitiative, zu deren wesentlichen Elementen Partizipation und Vielfalt zählen (Alter, Sprache, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, wirtschaftlicher Status, etc.); eine sozioökonomische Initiative, in deren Rahmen neue Partnerschaften zwischen Industrie, Regierung, ziviler Gesellschaft, Kunst und Bildung entstehen; eine Partizipationsinitiative, die Ausdrucksmöglichkeit und Partizipation fördert; ein Katalysator für den sozialen Zusammenhalt in einem multikulturellen Europa; transnationale Partnerschaften, die die Kommunikation und das Verständnis in einem größeren Europa fördern; Experimente mit dem kulturellen und pädagogischen Potential der neuen Technologien; aktive Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt; die Entwicklung von Strukturen, um die aktive Teilnahme der BürgerInnen an der Informationsgesellschaft durch öffentliche Medienzentren zu erleichtern und zu fördern.

Die Rolle und Tätigkeit dieser Organisationen ist in der Amsterdamer Agenda genauer beschrieben. Dieses Dokument entstand im Rahmen der Konferenz "Von der Praxis zur Politik: P2P", die 1997 in Rotterdam und Amsterdam anläßlich der niederländischen EU-Präsidentschaft abgehalten wurde. Bei dieser Konferenz wurden zahlreiche Bereiche (Innovation, Bildung, soziale Qualität) definiert, in denen Kultur eine immer größere Rolle spielt. Die Amsterdamer Agenda enthält eine Reihe konkreter Empfehlungen zur Förderung dieser Praxis für die nationalstaatlichen und internationalen Regierungen.

 

3. Bedürfnisse

Zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Innovationszentren sollte das European Cultural Backbone geschaffen werden, das nicht nur über technische Infrastruktur verfügt, sondern zudem auch über soziale und kulturelle Infrastruktur. Informelle Vernetzung und einzelne Treffen sind kein adäquates Mittel, um das wachsende Forschungs- und Aktionsfeld zu fördern, das einen signifikanten Beitrag zur kommerziellen Entwicklung der digitalen Medien in Europa leisten wird. Eine technische Infrastruktur für kulturelle Aktivitäten muß nach denselben Prinzipien organisiert werden wie die soliden wissenschaftlichen und akademischen Netze. Dies erfordert, daß die Öffentlichkeit Zugang zu Serverkapazität, Bandbreite und Tools hat.

Für einen effizienten Austausch von Wissen und Ausbildung muß eine Online-Kommunikationsstruktur geschaffen werden, die allen offen steht. Zudem sind andere Mittel für die Distribution von Information und Wissen nötig, etwa Publikationen, Newsletters und Workshops. Diese Instrumentarien müssen der Mehrsprachigkeit in Europa durch adäquate Software, Struktur und Übersetzung Rechnung tragen.

Um effizient zu sein, benötigt auch der Kulturbereich ebenso wie die Wissenschaft Domänen der Primärforschung mit einem adäquaten Umfeld und entsprechenden Ressourcen (etwa Forschungslabors für Medienkunst).

Eine innovative europäische Medienkultur ist nur möglich, wenn die öffentliche Sphäre erhalten bleibt. Das heißt, daß der Öffentlichkeit Zutritt zu den Netzen und Medientools gewährt wird und Inhalte von öffentlichem Interesse privilegiert behandelt werden. Dies kann durch das digitale Äquivalent öffentlicher Bibliotheken und Museen erreicht werden, die sich stark von privaten Datenbanken und Netzen unterscheiden. Das ist eine Grundvoraussetzung für die demokratische Entwicklung der Informationsgesellschaft.

 

4. Empfehlungen an die Europäische Kommission

Die Arbeit und die Aktivitäten kultureller Netzwerke, von KünstlerInnen und Kreativen spielen eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der audiovisuellen Programme und der Forschungsprogramme der Europäischen Kommission. Die Arbeitsgruppe erstellte auf der Linzer Konferenz drei Pakete mit Empfehlungen, wie die Kommission dieses Tätigkeitsfeld aktiv unterstützen könnte.

 

Audiovisuelle Politik und das Programm MEDIA

Die Arbeitsgruppe begrüßte den Bericht und die Schlußfolgerungen der Europäischen Konferenz über audiovisuelle Medien, drückte aber ihre Besorgnis darüber aus, daß die wahren Bedürfnisse des "neuen" Mediensektors nicht vollständig artikuliert oder diskutiert wurden. Die Arbeitsgruppe empfiehlt der Kommission:

- die Unterstützung des MEDIA-Programms für Forschung, Entwicklung und Ausbildung auf die digitalen Medien auszuweiten und auszudehnen;
- oder ein neues Programm zu etablieren, das auf die Bedürfnisse der neuen Medien zugeschnitten ist;
- in die Grundlagenforschung von KünstlerInnen und Kreativen zu investieren;
- adäquate Formen der Unterstützung für Mikrofirmen und kleine Organisationen zu schaffen;
- diesen Sektor bei der Erstellung von Maßnahmen und Programmen durch Körperschaften wie das Beratende Komitee für Audiovisuelle Politik zu berücksichtigen, das Kommissar Oreja im Rahmen der Birmingham Konferenz während der britischen EU-Präsidentschaft im April 1998 vorgeschlagen hat.

 

Forschungsprogramme - 5. Rahmenprogramm

Das i3-Programm (Programm "Informationsgesellschaft") registriert den Beitrag, den KünstlerInnen und DesignerInnen zu ICT-Forschungsprogrammen, in denen Sozial- und ComputerwissenschaftlerInnen neue Tools/Werkzeuge für eine kohäsivere und partizipatorischere Gesellschaft entwickeln. Am Beispiel von Themen wie ,Informationsräume und Gemeinschaft' entstehen durch diese definitiv am Menschen ausgerichtete ICT-Forschung wertvolle neue Modelle für gemeinschaftliche, interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Wir wissen um die Anfangsschwierigkeiten bei der Erstellung interdisziplinärer Partnerschaften und sind sicher, daß die gegenwärtigen detaillierten Evaluierungen effiziente Modelle für künftige Kooperationen innerhalb des 5. Rahmenprogramms schaffen werden.

Applikationsbezogene Kooperationen mit KünstlerInnen haben starken Einfluß auf die technologischen Entwicklungsprozesse und wirken unmittelbar positiv auf die Marktakzeptanz. Diese Projekte zeigen den dringenden Bedarf an öffentlichen Orten für interdisziplinäre Experimente. Ohne diese Orte werden die künstlerischen Energien systematisch von den Imperativen des Marktes vereinnahmt und das kreative Potential, das für eine dynamische Gesellschaft unerläßlich ist, kann sich nicht entfalten.

Flexiblere Politik und Subventionsrichtlinien sind notwendig, um die Kooperation von vernetzten kleinteiligen Strukturen zu fördern, die die Basis für die ICT-orientierten kulturellen Aktivitäten bilden. Ohne diese Schaltstellen können die Entwicklungen der Infrastruktur der ICT, die gegenwärtig von der europäischen Industrie in die Wege geleitet werden und neue Visionen von Staatsbürgertum auf der Grundlage einer größeren Partizipation der Öffentlichkeit anpeilen, nicht florieren.

Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sphäre in den elektronischen Netzen ist essentiell notwendig für die Entwicklung einer innovativen europäischen Medienkultur. Das bedeutet, daß die Öffentlichkeit an diesen Netzen teilhaben muß und daß öffentliche Inhalte als Grundlage einer demokratischen Entwicklung des Internets privilegiert behandelt werden.

 

Allgemeine politische Prioritäten

Die Politik muß das partizipatorische und demokratische Potential der neuen Medien erkennen. Die Bürger sollten nicht nur als Konsumenten sondern als aktive Mitglieder der Informationsgesellschaft angesprochen werden.

Vielfalt ist ein registriertes Charakteristikum und das Kapital der europäischen Kultur. Aus diesem Grund sollte sich diese Diversität auch strukturell in der europäischen Kulturpolitik widerspiegeln. Die gegenwärtigen Subventionsmechanismen müssen vielfältiger und flexibler gestaltet werden, um den raschen Veränderungen von lifestyle und kulturellen Ausdrucksformen zu entsprechen.

 

5. nächste Schritte

Die Kooperation und die informelle Vernetzung der Organisationen und Institutionen, die in der Arbeitsgruppe vertreten waren, wurde durch Konferenzen und Seminare erleichtert, die von der Kommission und dem Europarat organisiert wurden. Dieser Prozeß ist mit Unterstützung der österreichischen und der niederländischen Regierung im Rahmen einer Tagung der Europäischen Innovationszentren Anfang 1999 in Wien fortgesetzt worden.

Das Netz könnte als ExpertInnenplattform dienen und an der weiteren Implementierung der politischen Entwicklungen teilhaben.

 

6. european cultural backbone

Als direkte Folge der Konferenz "Kultur als Kompetenz" wurde bei einem Treffen der europäischen Organisationen aus dem Bereich der neuen Medien und der Kultur in Wien (4.-7. März 1999) das European Cultural Backbone (ECB) gegründet. Die Initiative wird von der niederländischen und der österreichischen Regierung sowie dem Arts Council of England unterstützt. Bei dem Treffen anwesend waren VertreterInnen der Europäischen Kommission, des Europarats und der UNESCO. Die Veranstaltung wurde von Public Netbase in Wien organisiert. Der österreichische Kulturstaatssekretär Dr. Peter Wittmann erklärte, daß er uneingeschränkt hinter den Plänen des ECB stünde und diese auf nationaler und europäischer Ebene vertreten werde.

Das ECB fordert die Einrichtung eines "Internet-Backbone für Kultur", also einer "Internet-Struktur für Kultur" als wesentliches Element der Entwicklung der europäischen Informationsgesellschaft. Dieser Bereich wird sowohl den kulturellen Output als auch die interdisziplinäre Forschung auf supranationaler Basis fördern. Auch der allgemeine Zugang zu den neuen Kommunikationstechnologien zählt zu den Zielen des ECB. Es sieht sich als Katalysator für die Vernetzung von Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik.

 

 

Die Gründungsmitglieder des ECB:

AEC (A), ARTEC (GB), De Balie (NL), C3 Center for Culture & Communication (H), CRAC Media Centre (S), cybeRex/Cinema REX (YU), e-Lab (LV), FACT (GB), Glass Palace Media Centre (FI), Ljudmila Digital Media Lab (SLO), Open Studio/WRO Foundation (PL), Public Netbase t0 (A), Steim (NL), Terravista (P), V2 Organisatie (NL), De Waag/ Society for Old and New Media (NL)

Gastorganisationen des ECB sind: Public Netbase (konrad@t0.or.at), Artec (frank@artec.org.uk), V_2 (abroeck@v2.nl) und De Waag/Society for Old and New Media (marleen@waag.org)

Weitere Informationen erhalten Sie auf der Website (http://ecb.t0.or.at) oder direkt bei einem der oben genannten Mitglieder.

 

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Marleen Stikker ist Direktorin von The Society for Old and New Media in Amsterdam. Nach dem Studium der Philosophie gründete sie 1985 das Alligator, Performance & Art Magazine. In den Jahren 1990 und 1991 war sie Leiterin des Multimediafestivals Zomerfestijn Amsterdam und Organisatorin der Wetware Conference (über Hardware, Software und physikalische Interaktion). Für das politisch-kulturelle Zentrum De Balie organisierte sie Programme über technologische Kultur (1992-1994) wie LIVE MAGAZINE. 1993 gründete sie die Organisation De Digitale Stad/The Digital City, deren Direktorin sie bis 1995 war und als deren Vorstandspräsidentin sie derzeit fungiert. Gemeinsam mit Caroline Nevejan (ehemals bei Paradiso) gründete sie 1994 The Society for Old and New Media. Sie ist Mitglied von Virtueel Platform, einer beratenden Initiative für Kunst und neue Medienpolitik, die für das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft und für das ATR des Amsterdam Telematica Councils arbeitet. Weiters ist sie Vorstandsmitglied von SALTO, der Stiftung des Amsterdamer Lokalfernsehens, TIES (Transatlantik Exchange Service) und Kunsten '92 (Arts '92). Beratend tätig in den Bereichen Arbeitsgruppenkultur, Kommunikation und Neuen Technologien (für den Europarat) und der Charter for Art and Industry.


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